«Unternehmen müssen aufhören, Vorurteile gegenüber Eltern zu haben. Sie sollten anfangen, die Skills zu nutzen, die Mütter und Väter mitbringen.»

    von Hanna Blumenrath am 08.03.2024 13:51:03

    Tadah – der schönste Coworking Space der Schweiz. Und das ganz offiziell: 2022 und 2023 ist Tadah mit dem Swiss Location Award ausgezeichnet worden. Auf dem Holztisch vor uns stehen in Motel a Miio Tassen Milchkaffee und Cappuccino. Um uns herum wird telefoniert, diskutiert und in die Tasten gehauen. Die meisten CoworkerInnen sind entweder Teil eines Teams, das sich hier eingemietet hat, oder selbstständig tätig. Und einige von ihnen haben ein Kind, das im mindestens ebenso schönen Kids Space zwei Etagen tiefer betreut wird. Julia Cebreros ist eine der vier Gründerinnen von Tadah. Gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen setzt sie sich für das Thema Vereinbarkeit ein. Angefangen hat alles vor sechs Jahren mit dem Tadah Magazin, in dem Eltern zu Wort kommen, von ihrem Alltag, ihren Herausforderungen und Hürden erzählen und wie sie diese meistern. Schnell wurde klar, dass viele ihrer Themen fast alle Eltern betreffen. Die Idee für den Tadah Coworking Space mit Kinderbetreuung war geboren.

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    atedo: Hallo Julia, schön, dass du dir heute Zeit für dieses Interview nimmst. Bitte stell dich und Tadah doch kurz vor.

    Julia: Begonnen hat alles mit uns vier Gründerinnen. Wir sind vier Mütter und unsere Business-Idee ist aus den eigenen Needs entstanden. Wir hatten alle einen guten Job, aber als wir Mütter wurden, haben wir gemerkt, dass es in dieser Rolle gar nicht so leicht ist, weiterhin Karriere zu machen oder erfüllt im Berufsleben zu stehen. Und das auch nicht in reduzierter Form, also in Teilzeit. Im Zuge unseres Magazins haben wir mit über 100 Eltern gesprochen und dabei festgestellt, dass es den meisten Eltern so geht wie uns. Aus diesem Grund haben wir einen Coworking Space mit flexibler Kinderbetreuung ins Leben gerufen. Denn obwohl die Arbeitswelt immer flexibler wird, ist die Kinderbetreuung in der Schweiz noch immer ziemlich unflexibel. Gerade wenn man kein familiäres Netzwerk oder eine Nanny hat, die als Backup fungieren, hat man keine Chance flexibel auf Unvorhergesehenes im Job zu reagieren. Sprich, mal einen zusätzlichen Tag ins Büro zu kommen oder einen längeren Call anzunehmen, an einem Tag, an dem man nicht arbeitet.

    atedo: Okay, der Punkt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist sicher da. Aber inwiefern spielt das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Arbeitgeber eine Rolle?

    Julia: In der Schweiz werden Milliarden in die Aus- und Weiterbildung von Frauen gesteckt. Fast 80 % aller Frauen arbeiten. Schaut man sich aber das Vollzeitäquivalent an, liegt dieses nur bei 60 %. Das liegt daran, dass viele Frauen, sobald sie Mütter werden, ihre Karriere unterbrechen und nur in einem Teilzeitpensum oder sogar gar nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurückkehren. Das bedeutet für Frauen natürlich begrenzte Karrierechancen. Viele Frauen werden nach der Mutterschaft ausserdem zurückgestuft, statt dass man mit ihnen eine Teilzeitkarriere bespricht. Was ist alles möglich in einem Teilzeitpensum? Jobsharings beispielsweise ermöglichen, weiterhin auf derselben (oder gar einer höheren) Position weiterzuarbeiten. Stattdessen werden viele Frauen zurückgestuft und machen «nur» noch Administration. Überspitzt gesagt:  Plötzlich sitzt die Frau, die vorher ein mehrköpfiges Team geleitet hat, am Empfang. Dabei verliert nicht nur die Frau, sondern vor allem auch das Unternehmen – und zwar ganz viel Know-how. Und die Schweiz verliert wertvolle Arbeitskräfte, die sie im Zuge des Fachkräftemangels so dringend braucht. Unternehmen müssen hier also unbedingt umdenken. Neben Massnahmen wie Job- oder auch Top-Sharings sollte man auch Karriere grundsätzlich neu denken. Auch wer 60 % oder 80 % arbeitet, sollte weiterkommen dürfen. Das gilt natürlich nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter. Denn auch Väter wollen ihr Pensum immer mehr reduzieren – Hashtag Gleichberechtigung. Viele Unternehmen werten dies dann fälschlicherweise als Zeichen mangenden Ehrgeizes, was es wiederum den Männern schwer macht, diesen Wunsch durchzusetzen.

    «Viele Frauen werden nach der Mutterschaft zurückgestuft. Überspitzt gesagt: Plötzlich sitzt die Frau, die vorher ein mehrköpfiges Team geleitet hat, am Empfang. Dabei verliert nicht nur die Frau, sondern vor allem auch das Unternehmen – und zwar ganz viel Know-how.»


    atedo: Unterstützt ihr also auch Unternehmen dabei umzudenken?

    Julia: Ja, das tun wir. Man muss dazu aber sagen: Viele Unternehmen haben schon Massnahmen, um Vereinbarkeit zu fördern. Die Frage ist aber, sind diese Massnahmen sinnvoll, sprich, sind es die richtigen für das jeweilige Unternehmen und werden sie auch genutzt? Ein gutes Beispiel ist das Notfall-Nanny-Konzept. Als Eltern kann man also eine Nanny kurzfristig abrufen, wenn zum Beispiel das Kind krank ist. Dieses Konzept hört sich für Manager super an. Aber es funktioniert nur selten, wie die Nutzungsauswertung bei Unternehmen zeigt. Weshalb nicht? Weil Eltern ihre Kinder, geschweige denn ihre kranken Kinder nicht jemanden anvertrauen, die oder den es noch nie gesehen hat.

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    Wir beraten daher Unternehmen dahingehend, zu schauen, was sie schon haben, was allenfalls noch fehlt und vor allem was zu ihrer Unternehmensstrategie und ihren Mitarbeitenden passt. Und dann entwickeln wir mit ihnen einen strategischen Ansatz, wie sie für Eltern zu einem attraktiven Arbeitgeber werden können. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Eltern, die bereits bei ihnen angestellt sind oder diejenigen bestehenden Mitarbeitenden, die einmal Eltern werden (Retention und Engagement), sondern auch diejenigen, die sie als zukünftige Fachkräfte an sich binden möchten (Recruitment).

    Zum Beispiel haben wir eine flexible in-house Kinderbetreuung für unseren Kunden Swiss Re konzipiert und umgesetzt. Neben solchen «grossen» Massnahmen gibt es natürlich auch kleinere, die weniger kostenintensiv sind.

    atedo: Okay, und funktionieren solche Massnahmen auch für KMU?

    Julia: KMU haben natürlich nicht das Budget eines Riesenkonzerns. Aber auch mit einem kleinen Budget kann man schon viel erreichen. Nehmen wir das Beispiel einer familienfreundlichen Meetingkultur – also, dass Meetings nicht zu den Bring- und Abholzeiten von Kindern angesetzt werden. Oder dass Eltern von überall und auch zeitlich flexibel arbeiten können. Es geht aber auch um Wertschätzung und Vertrauen. Und zu guter Letzt um Kultur. Unternehmen müssen aufhören, Vorurteile gegenüber Eltern zu haben. Stattdessen sollten sie anfangen, die Fähigkeiten zu nutzen, die Mütter und Väter haben, seit sie Eltern sind. Diesen Mindset kann auch ein KMU anbieten.

    atedo: Welche Fähigkeiten haben Eltern denn im Vergleich zu anderen Mitarbeitenden oder anders gefragt: wo liegen ihre Stärken?

    Julia: Eltern verfügen über eine Vielzahl von Soft Skills. Aufgrund ihrer Erfahrung sind sie beispielsweise sehr gut darin, Konflikte zu lösen, Aufgaben zu delegieren und Prioritäten zu setzen. Natürlich beherrschen sie auch das Krisenmanagement (schmunzelt) und nicht zuletzt sind sie MeisterInnen der Kommunikation – schliesslich müssen sie ihren Kindern Dinge klar und verständlich erklären können.

    atedo: Jetzt haben wir viel über ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen gesprochen. Was kann denn die Politik tun, damit Vereinbarkeit besser lebbar/machbar wird?

    Julia: Wir wissen, dass es ein langer Weg ist, in der Politik etwas zu erreichen. Deshalb haben wir uns mit dem Magazin und dem Coworking Space erst der Zielgruppe der Eltern gewidmet. Nun gelangen wir mit unserem Beratungsangebot an die Unternehmen. Damit wollen wir das Thema Vereinbarkeit auch in der Wirtschaft vorantreiben. Da sehen wir einen grossen Hebel, einfach auch weil Unternehmen agil sind und entsprechend schneller Veränderung herbeiführen können. Es geht ja letztlich auch nicht nur um diejenigen, die jetzt Eltern sind, sondern auch um die zukünftigen Eltern. Ich meine hier die Gen Z – sie will viel mehr Vereinbarkeit, viel mehr Flexibilität und auch viel mehr Teilzeit. Unternehmen müssen also umdenken, um gute Arbeitskräfte anzuziehen. Die Baby Boomer sind zwar jetzt noch im Management, aber sie gehen bald in Pension.

    atedo: Jetzt sind wir ein bisschen abgeschweift. Kommen wir nochmal kurz zur Politik zurück – gibt es konkrete Hebel, die ihr euch wünscht oder die ihr in euren Gespräch rausgehört habt, an denen die Politik ansetzen könnte, um das Thema Vereinbarkeit zu fördern?

    Julia: Laut einer Unicef-Studie aus dem Jahr 2019 liegt die Schweiz bezüglich Familienfreundlichkeit im europäischen Vergleich auf dem letzten Platz. Das ist bedingt durch den kurzen Mutterschaftsurlaub, die damals noch fehlende Verankerung des Vaterschaftsurlaubs, aber auch durch das Betreuungssystem, das nicht nur teuer, sondern auch nicht flexibel ist. Viele können sich beispielsweise gar nicht leisten, mehrere Kinder zu haben. Oder aber auch wieder einer Arbeit nachzugehen, weil sie es sich nicht leisten können, das Kind fremdbetreuen zu lassen. Ein Teufelskreis, denn dann entsteht nicht nur eine Lücke in der Karriere, sondern vor allem eine in der Altersvorsorge. Es gibt also ganz viele Ansätze, was zu verändern. Einer der grössten Hebel ist derjenige, die Kinderbetreuungskosten zu reduzieren.

    «Laut einer Unicef-Studie aus dem Jahr 2019 liegt die Schweiz bezüglich Familienfreundlichkeit im europäischen Vergleich auf dem letzten Platz.»

    atedo: Welche langfristigen Visionen habt ihr mit Tadah?

    Julia: Unsere langfristige Vision ist die Schweiz familienfreundlich zu machen. Wir haben angefangen mit einem Magazin, wir haben einen Coworking Space mit Kinderbetreuung gegründet, jetzt arbeiten wir mit Unternehmen zusammen. Ganz neu bieten wir sogar einen Lehrgang an der HWZ zum Vereinbarkeits-Manager an. Wir verstehen uns als Plattform für Vereinbarkeit und darunter fällt sehr viel … und unsere Ideen hören nicht auf (lacht).

    atedo: Am 8. März ist der Internationale Frauentag. Was wünschst du dir für deine Tochter und alle zukünftigen Frauengenerationen?

    Julia: Ich wünsche mir, dass meine Tochter ihr Leben so leben kann wie sie will, ohne mit Vorurteilen konfrontiert zu werden. Heutzutage ist es ja so, dass du als Mutter, wenn du 100 % arbeitest, schief angeschaut wirst. Wenn du aber zuhause bleibst und Hausfrau bist, dann ist es auch nicht recht. Schlussendlich muss jeder selbst herausfinden, wie er oder sie leben möchte. Toll wäre, dass wenn meine Tochter mal selbst Mutter sein sollte, es Themen wie die Frauenquote oder Gleichberechtigung gar nicht mehr gibt, weil es schon so selbstverständlich ist.

    Mehr zu Tadah: tadah.ch/

    Themen: Change, Kultur, Organisationsentwicklung, Strategie, Unternehmensentwicklung

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